Schilfdämmung – Putzträger & Dämmstoff in einem
Als Naturbaustoff ist Schilf (bzw. Reet) dem Menschen schon seit Jahrtausenden bekannt: Wie die ersten nachgewiesenen Reetdächer aus der Jungsteinzeit (ca. 4000 v. Chr.) beweisen, zählt die Dachdeckerei mit Reet zu den ältesten Handwerkstechniken beim Hausbau. Bis heute prägen Reetdächer vor allem das typische Bild des norddeutschen Küstenraums – die Reetdachdeckerei wurde 2014 von der UNESCO sogar als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Weiterhin wird Reet bzw. Schilf als Baumaterial natürlich nicht nur in Europa, sondern auch in Asien und Afrika seit tausenden Jahren verwendet.
Nachhaltige Materialien nehmen im Bauwesen immer mehr an Bedeutung zu, wodurch auch Schilf als Baumaterial (vor allem in der Kombination mit Lehm) wieder an Beliebtheit gewinnt: Neben der klassischen Verwendung zur Dachdeckung wird Schilf auch vermehrt als Naturdämmstoff eingesetzt, wobei es vor allem durch seinen Hitze- und Schallschutz sowie seine Feuchtigkeitsresistenz überzeugen kann. Ein deutlicher Vorteil: Schilfplatten, die zur Dämmung verbaut werden, können gleichzeitig auch als Putzträger eingesetzt werden.

Woraus besteht Schilfdämmung?
Das Ausgangsmaterial dieses Naturdämmstoffs ist das Schilfrohr, eine Pflanze aus der Familie der Süßgräser, die in verschiedensten Regionen der Erde heimisch ist. Schilf wächst am Rand von stehenden und langsam fließenden Gewässern und anderen Feuchtgebieten wie Mooren oder Auwäldern. Aufgrund der starken Nachfrage für Schilf bzw. Reet wird ein großer Teil des Ausgangsmaterials aus dem Ausland importiert. Vorwiegend kommt Schilf aus Rumänien, aber auch aus der Ukraine, Ungarn oder der Türkei zum Einsatz, wo der Pflanze optimale Wachstumsbedingungen geboten werden.

Bei der Ökobilanz der Schilfdämmung stehen sich daher zwei Faktoren gegenüber: Je nach Anbaugebiet muss Schilfrohr einen längeren Transportweg zurücklegen – dafür ist die Herstellung von Schilfrohrplatten aber als energiearm zu bewerten. Grundsätzlich kommt Schilfdämmung zudem ohne synthetische Zusätze aus und ist frei von Schadstoffen, weshalb sie als gesundheitlich unbedenklich eingeschätzt wird und als gut recyclebar und sogar kompostierbar gilt.






Wo kommt Schilfdämmung zum Einsatz?
Schilfdämmung kann in verschiedenen Bereichen zum Einsatz kommen. Dazu zählen folgende Einsatzgebiete:
- Fassadendämmung (Außendämmung und Innendämmung von Außenwänden)
- Dachdämmung (Aufsparren-, Untersparren- und Zwischensparrendämmung)
- Wärme- und Schalldämmung (von Decken und Böden, in Innenräumen)
- Dämmung der oberen Geschossdecke
- Hohlraumdämmungen
- Errichten von Trennwandsystemen
- Als Unterputzgewebe
Schilfdämmung kann sowohl im Innen- als auch im Außenbereich zum Einsatz kommen und eignet sich auch zur Nutzung in Wärmedämmverbundsystemen (mit Ausnahme des Sockelbereichs). Wie andere Naturdämmstoffe ist Schilfdämmung allerdings nicht für die Kern- und Perimeterdämmung geeignet.

Welche bauphysikalischen Eigenschaften besitzt die Schilfdämmung?
Die spezifische Wärmekapazität von Schilfrohrdämmung beträgt etwa 1.200 J/kgK, was den Werten von konventionellen Dämmstoffen nahekommt. Die Wärmeleitfähigkeit liegt zwischen 0,055 bis 0,065 W/mk, wodurch sie im Vergleich mit anderen natürlichen Dämmstoffen wie Jute oder Hanf ein wenig schlechter abschneidet. Der Wasserdampfdiffusionswiderstand von Schilfrohrplatten liegt zwischen 1 und 2, bei Schilfgranulat können sogar Werte zwischen 3 bis 6,5 erreicht werden, was wiederum die hervorragende feuchtigkeitsregulierende Wirkung des Dämmstoffs beweist.
In Bezug auf die Brennbarkeit fällt Schilfdämmung in die Baustoffklasse B2 (nach DIN 4102-1) und gilt demnach als „normal entflammbar“.
Welche Vor- und Nachteile hat Schilf als Dämmstoff?
In Bezug auf ihre Wärmeleitfähigkeit liegt die Schilfdämmung zwar nur im durchschnittlichen Bereich und überzeugt dabei weniger als andere nachhaltige Dämmstoffe – ein großer Vorteil des Materials ist aber, dass Schilfrohrplatten gleichzeitig als dämmende Putzträger eingesetzt werden können. Schilf ist sehr stabil und weist eine griffige Oberflächenstruktur auf, wodurch es sich ideal als Putzgrund eignet.
Da Schilfdämmung zudem eine solide Wärmekapazität aufweist, bietet sie sich außerdem als sommerlicher Hitzeschutz an. Gleichzeitig sind Schilfrohrplatten in der Lage, Schall gut zu absorbieren, wodurch sie sich auch zur Trittschalldämmung von Böden bzw. Decken eignen.
Der größte Pluspunkt der Schilfdämmung ist ihre Feuchtigkeitsresistenz sowie ihre Fähigkeit zur Feuchtigkeitsregulierung. Schilfrohrplatten mit einem Wasserdampfdiffusionswiderstand von 1 bis 2 überzeugen durch ihre Diffusionsoffenheit und Kapillaraktivität, wodurch sie entstehende Feuchtigkeit sehr gut transportieren können. Als Innendämmung kann Schilfdämmung dazu beitragen, stehende Feuchte zu verhindern und Schimmelbildung sowie Fäulnis vorbeugen. Dadurch unterstützt sie, vor allem in Kombination mit Lehmputz, ein gesundes und angenehmes Raumklima.
Auch bei stärkerer Wassereinwirkung nimmt Schilf keine Feuchtigkeit auf und verrottet daher nur sehr langsam, weshalb sich Schilfdämmung vor allem für Gebäude in Regionen mit hoher Luftfeuchtigkeit eignet. Diese Feuchtigkeitsresistenz ist zudem einer der Hauptgründe für die anhaltende Beliebtheit von Reet in der Dachdeckerei.

Wie wird Schilfdämmung hergestellt?
Schilf wird nach dem ersten Frost geerntet, wenn das Schilfrohr ausgetrocknet ist. Nach der Ernte muss das Material weiterhin gut durchtrocknen können, um nicht zu faulen. Anschließend werden die Halme nach Größe sortiert. Dicke, lange Rohre sind optimal für Schilfdämmung geeignet, dünnere Schilfrohre finden z. B. bei Reetdächern Verwendung oder werden zu Schilfgranulat bzw. Schilffaserplatten verarbeitet.
- Schilfrohrplatten: Zur Herstellung der klassischen Schilfdämmung werden die Schilfrohrhalme mechanisch gebündelt, parallel zusammengepresst und mit Draht zu einer Schilfrohrplatte verzinkt. Das Ergebnis ist eine feste, aber elastische Dämmplatte, die zwischen 2 und 12 cm stark sein kann.
- Schilffaserplatten: Hierbei werden Schilfgranulat und Bindefasern auf Maisstärkebasis zu einem Vlies gestreut und durch Einwirkung von Heißluft zu stabilen Platten verarbeitet.
Schilf verfügt derzeit über keine generelle bauaufsichtliche Zulassung als Dämmstoff. Soll beim Hausbau eine Schilfdämmung zum Einsatz kommen, ist eine gesonderte Genehmigung erforderlich. Genauere Details gibt es bei den regionalen Bauaufsichtsbehörden.
Fazit
Schilfrohr ist ein Dämmmaterial, das vor allem durch seine Robustheit und Resistenz gegen zahlreiche Umwelteinflüsse besticht. Im Bauwesen wird es daher bevorzugt eingesetzt, wenn ein Gebäude einer hohen Luftfeuchtigkeit oder einer feuchten Witterung widerstehen soll. Schilfdämmung ist vielseitig einsetzbar, eignet sich aber vor allem als Hitzeschutz, Schalldämmung sowie als feuchtigkeitsregulierende Innendämmung. Schilf ist von Natur aus sehr widerstandfähig gegenüber Feuchtigkeit und schützt daher effizient vor Schimmelbildung oder Fäulnis. Vor allem in Kombination mit Lehm kann Schilfdämmung ein gesundes Raumklima fördern und eignet sich als nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Dämmmaterialien.
